In Ungarn genießen Flüchtlinge derzeit keinen Schutz und sind diversen Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt. Wir fordern die deutschen Behörden daher auf, Abschiebungen nach Ungarn umgehend zu stoppen, solange keine wesentlichen Verbesserungen der Lebensumstände der Flüchtlinge in Ungarn zu erkennen sind!
70 Flüchtlinge aus Afghanistan verließen am 11. Juni Ungarn. Sie lebten zuvor in dem “Pre-integration Camp” in Bicske – Hunger, fehlende medizinische Versorgung und drohende Obdachlosigkeit zwangen sie erneut zur Flucht.
Situation in Bicske
Alleinstehende Flüchtlinge, die einen Aufenthaltsstatus in Ungarn erhalten haben, werden für maximal sechs Monate in dem so genannten “Pre-integration Camp” in Bicske, einer Kleinstadt bei Budapest, untergebracht. Familien mit Kindern können dort maximal zwölf Monate bleiben. Offiziell gilt der Aufenthalt in Bicske der Integration in die ungarische Gesellschaft: Sie sollen Ungarisch lernen, eine Wohnung und eine Arbeitstelle finden. Dies ist jedoch aufgrund mangelnder Integrationsmaßnahmen in der Realität praktisch unmöglich:
Eine Arbeit zu finden ist ohne ausreichende staatliche Unterstützung (Weiterbildungsmaßnahmen, Sprachkurse etc.) für Ausländer aufgrund der extrem hohen Arbeitslosigkeit in Ungarn nahezu ausgeschlossen. Die Auszahlung finanzieller Leistungen ist von starker Willkür der Behörden gekennzeichnet. Die Flüchtlinge erhalten keine Auskunft über ihre Rechte und Richtlinien werden nur selten eingehalten. Kinder und Jugendliche werden eineinhalb Stunden täglich in dem Heim unterrichtet – sie genießen somit nicht annähernd dieselben Bildungschancen wie Ungarn.
Durch ihre Weiterreise nach Deutschland weigern sich die Flüchtlinge aus Ungarn schlichtweg, ein Leben in der Obdachlosigkeit zu akzeptieren
Rund 90 Flüchtlinge verweigerten im April das Verlassen des “Pre-integration Camp” in Bicske, da ihnen Obdachlosigkeit drohte. Zur offiziellen Lösung erklärte das OIN die Unterbringung in Obdachlosenheimen in Budapest. Abgesehen von den kritischen Lebensbedingungen dort, sind die Heime bereits überfüllt und es stehen bei weitem nicht genügend freie Plätze zur Verfügung. Für Familien mit Kinder gibt es überhaupt keine freien Kapazitäten. Anstatt nach alternativen Wohnmöglichkeiten zu suchen, untersagte das OIN den betroffenen Flüchtlingen jegliche finanzielle Hilfe. Zuvor erhielten sie wöchentlich rund 22€, nun bleibt ihnen nicht einmal Geld für Nahrungsmittel. Des Weiteren haben sie keinen Anspruch auf medizinische Versorgung mehr. Für Flüchtlinge, die auf Medikamente angewiesen sind, kann dies dramatische Auswirkungen haben. Viele Personen leiden aufgrund traumatischer Erfahrungen vor bzw. während ihrer Flucht unter psychischen Erkrankungen und haben bereits seit mehreren Monaten keine Medikamente zu sich nehmen können. Auch wurde ihnen die Transportkarte für die Fahrt nach Budapest nicht mehr ausgehändigt, wodurch die Suche nach einer Arbeitsstelle und einer Wohnung nicht fortgesetzt werden kann.
Proteste in Budapest seit November
Seit November demonstrieren Flüchtlinge in Budapest für bessere Lebensbedingungen. Zweimal fanden Proteste vor dem ungarischen Parlament statt. Im Februar wurde zudem vor dem Sitz der EU in Budapest demonstriert. Die Flüchtlinge erreichten durch die Proteste, dass sie nicht im tiefsten Winter auf die Straße gesetzt wurden – jedoch wurden die Probleme damit nur aufgeschoben.
Am 2. Juni haben sich erneut rund 100 Flüchtlinge vor dem Innenministerium versammelt um gegen eine Gesetzesänderung zu demonstrieren. Nach dem diese Praxis für kurze Zeit ausgesetzt wurde, erlaubt das neue Gesetz erneut, Asylsuchende (darunter auch Familien mit Kindern) bis zu sechs Monaten zu inhaftieren. Die Inhaftierungsgründe sind dabei so weit gefasst, dass es praktisch jeden treffen kann. Über die Bedingungen in ungarischen Haftanstalten für Flüchtlinge wurden in der Vergangenheit bereits ausführlich berichtet. So kritisierte etwa UNHCR die dort weit verbreitenden körperlichen Misshandlung und die systematische Verabreichung von Beruhigungsmitteln.
Die Flüchtlinge aus Bicske haben lange Zeit versucht, ihre Situation zu verbessern und in Ungarn eine Existenzgrundlage aufzubauen. Da jedoch keinerlei Verbesserung ihrer Lebensumstände in Aussicht stand, blieb ihnen nichts anderes übrig, als das Land zu verlassen.
Verschärfung der Lage
In den letzten Wochen wurden rund 250 weitere Flüchtlinge und Asylbewerber nach Bicske transferiert. Insgesamt leben nun rund 500 Personen in dem Heim. Die Räumlichkeiten des Heimes sind für etwa 100 bis 150 Personen ausgerichtet, sodass die Flüchtlinge derzeit unter katastrophalen, menschenunwürdigen Bedingungen leben. Viele Personen, darunter auch Familien mit kleinen Kindern, schlafen in der Sport- und Eingangshalle auf dem Boden. Die daraus resultierenden unhygienischen Verhältnisse führten bereits zur Ausbreitung von Krankheiten.
Die Behörden geben keinerlei Auskunft über weiteres Vorgehen.